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Soziale Gerechtigkeit? Bürgergeld vs ALG1 für Selbständige

Wer bekommt welche Leistungen? Für unseren Artikel auf dem Ukraine-Bulletin zum neuen Bürgergeld hatten wir Anfang Dezember 2022 beim BMAS nachgefragt, ob sich auch für die 50% der Bürger:innen, die eine Immobilie besitzen, Änderungen ergeben.

Außerdem wurden für Januar 2023 Verbesserungen für freiberufliche Künstler:innen beim Arbeitslosengeld 1 angekündigt, was mich zu diesem Artikel angeregt hat.

Im Nachhinein wünschte ich, den folgenden Vergleich nicht erstellt zu haben, denn: er macht mich wütend – soziale Gerechtigkeit gibt es nicht und Arbeit lohnt sich wirklich nicht. Dieser Vergleich zeigt: Eine Mutter mit zwei Kindern (hier als Beispielperson herangezogen) hat für Regelbedarf / zum Leben im Monat als:

  • Bürgergeld-Empfängerin wohnhaft zu Miete 1.270 €
  • Bürgergeld-Empfängerin wohnhaft im Eigenheim 934 €
  • ALG1-Empfängerin wohnhaft im Eigenheim und bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit freiberuflich tätig: 654 €
  • 80%-Berufstätige wohnhaft zu Miete, beide getrennt lebenden Elternteile arbeiten: 1.500 €

Bedeutet: Die Freiberuflerin ist die Verliererin in diesem System; die Berufstätige hat lediglich 230 € / Monat mehr als Bürgergeld-Empfängerin 1, und Eigenheimbesitzer werden benachteiligt.

Wie ich zu diesem Ergebnis gekommen bin? Ich fragte mich: Welche Leistungen erhalten normale Bürgergeld-Empfänger, wieviel welche mit Immobilien-Eigentum, wieviel Arbeitslosengeld 1 erhalten Selbständige? Wer verdient wieviel?

Vorher hatten meine Schüler:innen und ich beim BMAS bezüglich der Bürgergeld-Regelungen zur Übernahme von Tilgungskosten für selbstbewohnte Immobilien nachgefragt. Die Antwort des Sprechers dahingehend: es ändert sich nichts, es bleibt wie bei Hartz4 / ALG2: “Tilgungskosten werden in der Regel weiterhin nicht übernommen, weil sie der Vermögensbildung dienen. Das gilt auch während der Karenzzeit im ersten Jahr des Bürgergeldbezuges.“

Bedeutet: Jeder Bürgergeld-Empfänger bekommt im 1. Jahr komplett seine Mietwohnung bezahlt, egal wie groß und teuer. Aber das gilt nicht für die rund 50% der Bürger:innen, welche im Eigenheim leben.

Diese müssen im Notfall bei ihrer finanzierenden Bank “die Hosen runterlassen”, Erspartes dafür verbrauchen (sofern vorhanden) oder hungern – das im reichen Deutschland. Wieso ist der Umstand, dass rund 50% der Gesellschaft im Notfall benachteiligt wird, in Gesellschaft und Politik kein Diskussionsthema? Weiß davon kaum jemand? 

Zahlen: Laut Eurostat liegt Deutschland am untersten Ende der Eigenheimqoute bei fast 50% (EU-Durchschnitt: 69%). Laut Statista schwankt diese je nach Bundesland zwischen 41 und 67%.


In Not geratene Eigenheimbesitzer sollen sich nicht bereichern?

Das Argument für die Regelung beim Bürgergeld (vorher Hartz4 / ALG2) lautet: die Empfänger von solchen Transferleistungen sollen sich nicht bereichern und nicht mit Sozialleistungen ihre Immobilien abbezahlen. Dass aber Immobilien-Konzerne sich indirekt an Sozialleistungen bereichern, scheint nicht bedacht worden zu sein. Ebenfalls nicht, was es finanziell für diese 50% der Bürger bedeutet, wenn sie den Tilgungsanteil nicht erhalten.

Im Folgenden ziehe ich einen Leistungsvergleich bei Alleinerziehenden mit unterschiedlichen Lebenssituationen. Am Ende kommt ein Unterschied heraus, der die soziale Ungerechtigkeit in Zahlen leicht erfassbar macht.

Alle im Folgenden genannten fiktiven Beispielpersonen sind alleinerziehende Mütter mit zwei Kindern. Zur besseren Vergleichbarkeit wohnen alle in einem Reihenhaus gleicher Größe.

Außerdem wurden der Einfachheit halber einzelne kleinere Kosten und Sozialleistungen, z.B. für die Kinder, weggelassen. Auch weitere Wohnnebenkosten, wie etwa Versicherungen und Grundsteuer, sind nicht aufgeführt.


Mutter 1 mit zwei Kindern

Normale Bürgergeld-Bezieherin, Mieterin, Geflüchtete aus der Ukraine

Laut der Bürgergeld-Tabelle “Regelbedarfe”, bekommt eine Mutter mit zwei Kindern 502 Euro für sich, zudem für ihr jugendliches Kind (hier: 15 Jahre alt) 420 Euro sowie für ihr Kind im Alter von 11 Jahren 348 Euro. In der Summe sind das: 1.270 Euro für den Lebensunterhalt. Kindergeld ist mit dem Regelbedarf verrechnet.

Ihr Reihenhaus hat eine Kaltmiete von 960 Euro; auch die Nebenkosten vor allem Heizkosten (aktuell: 290 €) bezahlt das Jobcenter.

Ihre Story: Ja, sie ist aus dem Ukraine-Krieg geflüchtet (zu deutschen Freunden), aber direkt im Frühjahr 2022. Ihr und ihrer Familie ist nichts passiert; der Vater ihrer Kinder befindet sich weit weg von der umkämpften Ost-Ukraine. Ihre Eltern senden ihr manchmal noch Geld aus der Ukraine  – sie führen dort einen Online-Handel und konnten ihren Umsatz durch Lieferungen an Geflüchtete im Ausland deutlich steigern.

Vom Jobcenter erhält sie in der Summe 2.520 € / Monat – mindestens. Hinzu kommen noch Sonderleistungen vom Jobcenter für die Kinder.

Davon sind 1.270 € für Regelbedarfe / Lebensunterhalt inkl. Stromkosten.

Mutter 2 mit zwei Kindern

Bürgergeld-Bezieherin mit Eigenheim, Familienbetrieb wegen Corona pleite

Diese alleinerziehende Mutter hat lediglich 650 €/Monat an Immobilien-Finanzierungskosten, aber genauso so hohe Heizkosten (290 € / Monat). Von den Immobilienkosten bekommt sie nur die Zinsen (314 €), aber nicht die Tilgung (336 €). Zudem bekommt sie ebenfalls in der Summe 1.270 € Bürgergeld pro Monat.

Ihre Story: Sie und ihr Noch-Ehemann, sowie andere mitarbeitende Verwandte, hatten lange Zeit durchgehalten, waren aber zum Ende der Corona-Pandemie mit ihrem Restaurant pleite gegangen – unverschuldet, wegen der Lockdowns. Der Stress darum hat auch zur Trennung geführt. Er, als Inhaber des ehemaligen Restaurants, befindet sich im Insolvenzverfahren und kann im Grunde genommen keinen Cent an sie zahlen. Zum Glück steht sie alleine im Grundbuch des Hauses …

Fakt ist: Da sie keine Ersparnisse hat, müsste sie nun entweder bei ihrer Bank darum bitten, die Tilgung auszusetzen (das wäre gefährlich, ggf würde die Bank den Kredit kündigen) oder vom Regelsatz die Tilgung zahlen, was bedeutet, dass sie dann kaum noch Geld für den Lebensunterhalt hat.

Vom Jobcenter erhält sie in der Summe 1.874 € / Monat.

Davon sind 1.270 € für Regelbedarfe inkl. Stromkosten gedacht; aber leider gehen davon 336 € Tilgung an die Bank.

Ihr bleiben also 934 € vom Regelbedarf zum Leben für sich und ihre Kinder.

Mutter 3 mit zwei Kindern

ALG2-Bezieherin, bisher freiberufliche Grafikerin

Jahrelang zahlte sie als Selbständige freiwillig in die Arbeitslosengeld-Versicherung ein und ist Mitglied der Künstlersozialkasse. Da ihr vor Kurzem ein mehrmonatiger Auftrag abgesagt wurde (der Auftraggeber muss den Betrieb wegen der hohen Stromkosten vorrübergehend schließen), hat sie ALG 1 beantragt und bekommt als freiwillig Versicherte (Link zur PDF) AL-Geld in Qualifikationsgruppe 3 (Fachhochschule/Meister). Das sind circa 1.464 € / Monat. Außerdem bekommt sie 2x 250 € Kindergeld, also 500 € / Monat.

Wie Mutter 2 hat sie ein Reihenhaus im Eigentum (in guten Zeit selbst gekauft) und zahlt an die Bank monatlich 800 €, und hat derzeit ebenfalls 290 € Heizkosten, in der Summe also: 1.090 €.

Im Unterschied zu den beiden zuvor genannten Müttern bezahlt ihr aber niemand diese Wohnkosten! Zusätzlich Bürgergeld zu beantragen, würde ihr fast nichts nutzen, da ihr ja wie Mutter 2 die Immobilientilgung nicht bezahlt werden würde. Ob sie Wohngeld bekommen kann, ist noch offen.

Weiterführende Story: Der Vater ihrer Kinder hat sich vor vielen Jahren abgesetzt (vermutlich ins Ausland) und kann auch von den Behörden nicht gefunden werden. Von ihm kommt entsprechend kein Cent Unterhalt – weder für sie, noch für die Kinder. Die 4 möglichen Jahre Kindesunterhalts-Vorschuss sind bereits abgelaufen.

Kurzum: sie erhält in der Summe 1.964 € / Monat.

Davon sind mind. 1.090 € Immobilien- und Heizkosten. Weiterhin ist sie ja in der KSK versichert und muss dort weiterhin einen Rentenversicherungsbeitrag im Höhe von 220 € / Monat bezahlen.

Sie hat am Ende für sich und ihre Kinder lediglich 654 € / Monat für Regelbedarfe inkl. Strom.


Wie sieht es bei einer Berufstätigen aus?

Diese 4. alleinerziehende Mutter mit 2 Kindern arbeitet als Physiotherapeutin, aber wegen der Kinder in Teilzeit (80%) – das ist auf Dauer purer Stress! Sie verdient im Monat 2.333 € brutto, das sind netto ca. 1.757 € / Monat. Dazu kommt Kindergeld in Höhe von 500 €, in der Summe hat sie etwa 2.257 € / Monat – bisher lag sie damit über der Wohngeldberechtigung. Sie wohnt wie die anderen Mütter auch in so einem Reihenhaus zur Miete (Kaltmiete: 960 €;  Heizkosten 290 € zzgl weiterer Wohnnebenkosten).

Das heißt, ihr bleiben nach Abzug der Wohnkosten (1.250 € wie bei Mutter 1), lediglich 1.007 € / Monat zum Leben / vergleichsweise für Regelbedarf.

Theoretisch müsste ihr Ex-Mann, der Vater ihrer Kinder, einen Kindesunterhalt in Höhe von circa 1.000 Euro im Monat (laut Düsseldorfer Tabelle) bezahlen. Kann er aber nicht, da er gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe ist und nicht mehr in leitender Position arbeitet. Er ist als Industriekaufmann tätig und hat netto 2.436 €. Da er in der Großstadt lebt, zahlt er für seine 2-Zimmer Wohnung genauso viel wie sie fürs Reihenhaus (1.250 €). Er gibt ihr für die Kinder, was er kann, aber nie mehr als 500 €/Monat. Er selbst hat dann für sich selbst noch 686 € zum Leben.

Wenn er zahlt, hat sie für sich und ihre Kinder – bei zwei berufstätigen Elternteilen – im Monat 1.500 € für Regelbedarfe.


Ist das soziale Gerechtigkeit?

Das BMAS, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, schrieb auf seiner Homepage dazu: “Das Bürgergeld bedeutet mehr Sicherheit, mehr Respekt und mehr Freiheit für ein selbstbestimmtes Leben. Es tritt zum 1. Januar 2023 in Kraft und hebt die Grundsicherung für Arbeitssuchende auf die Höhe der Zeit.”

Das gilt aber offensichtlich nur für maximal 50% der deutschen Bürger (zudem für aus der Ukraine zu uns Geflüchtete), also nur für Nicht-Immobilienbesitzer und Nicht-Selbständige / -Künstler … Und vor allem nicht für Berufstätige! Arbeiten lohnt sich offensichtlich nicht.

Wie oben bereits geschrieben steht, zeigt der Vergleich auf: eine Mutter mit zwei Kindern (hier als Beispielperson herangezogen) hat für Regelbedarfe / zum Leben im Monat als:

  • Bürgergeld-Empfängerin wohnhaft zu Miete 1.270 €
  • Bürgergeld-Empfängerin wohnhaft im Eigenheim 934 €
  • ALG1-Empfängerin wohnhaft im Eigenheim und bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit freiberuflich tätig: 654 €
  • 80%-Berufstätige wohnhaft zu Miete, beide getrennt lebenden Elternteile arbeiten: 1.500 €

Bedeutet: Die Freiberuflerin ist die Verliererin in diesem “Sozialsystem” (Rentensituation noch nicht bedacht …); die Berufstätige hat lediglich 230 € / Monat mehr als Bürgergeld-Empfängerin 1, und Eigenheimbesitzer werden benachteiligt.